"ich bearbeite meine Bilder nicht, ich kann fotografieren!" …ein Satz der jedem bekannt vorkommt, der es in einem bestimmten Umfeld (Naturfotografen, Alter 50+, männlich) zu erwähnen wagt, dass die eigenen Bilder nicht so im Netz stehen, wie sie aus der Kamera gekommen sind.
Misstrauisch werde ich dann immer, wenn ein paar Sätze weiter hinzugefügt wird, dass man mit diesen Programmen ja nicht umgehen kann und bisher nur rausgefunden hat, wie man im PC ein Bild beschneiden und etwas nachschärfen kann. Zusätzlich haben diejenigen unter diesen Fotografen keinen Hauch einer Ahnung von dem leistungsfähigen Computer, mit dem sie die Aufnahme gemacht haben, wenn sie behaupten "ich bearbeite meine Bilder nicht" und dann die JPG Dateien direkt aus der Kamera verwenden. Zur Ehrenrettung dieser Herrschaften will ich aber festhalten, dass es noch keinem Bild geschadet hat, wenn man beim Fotografieren von Anfang an alle Einstellungen richtig getroffen hat. Bearbeiten hat nämlich im Idealfall nichts damit zu tun aus einem Bild für die Löschtaste etwas Tolles zu zaubern. Das geht (leider) nicht! Aber man kann in der Digitalfotografie tatsächlich die Zügel ein wenig lockerer lassen, als das in der analogen Welt der Fall war. Menschlich ist es verständlich, dass Leute, die sich mühsam das Wissen um Weißabgleich, Belichtung und Co angeeignet haben, um überhaupt was brauchbares aus der Kamera aufs Fotopapier zu bekommen, jetzt ein wenig verärgert darüber sind, dass man heute gleichwertige Ergebnisse mit weniger Aufwand und Wissen bekommen kann. Schließlich durfte man sich in manchen Ländern nur Fotograf nennen, wenn man eine entsprechende, offizielle Ausbildung hinter sich hat. In Österreich war es bis vor kurzem sogar unmöglich für jemanden, der sich das selbst beigebracht hat, die Fotografie zum Beruf zu machen. Bei uns ist man da nicht so streng. Hier gibt es schon länger Menschen, die aus dem Hobby einen Beruf gemacht haben und bei denen man den Unterschied zum "Fotografen mit Ausbildungsbestätigung" nicht erkennen kann. Was muss man nun fotografieren und was kann man bearbeiten? Das kommt darauf an (wie gemein…schon wieder keine einfache Antwort :-) ). Je mehr man machen muss um ein Bild zu optimieren, desto mehr Zeit muss man investieren. Je mehr schon verwertbar aus der Kamera kommt, desto weniger muss man sich mit der Grundbearbeitung aufhalten. Denn für mich teilt sich die Bearbeitung eines Bildes in zwei Phasen: die Bildoptimierung (also wenn man böse ist, die Verbesserung dessen, was man eigentlich auch schon beim Fotografieren hätte erledigen können…) und die Ausarbeitung des Bildes oder der Bildaussage. Schritt 1: Bildoptimierung Die Optimierung eines Bildes ist einfacher, wenn es als RAW Datei aufgenommen wurde. Entgegen anderslautender Meinungen kann man aber auch ein JPG optimieren, nur nicht so weitreichend und nicht ganz so einfach. Insbesondre der Weißabgleich darf beim Fotografieren nicht so außen vor bleiben, wie das bei einer RAW Datei der Fall ist. Auch extreme Schatten und Lichter kann man bei einer RAW Datei besser "retten" als bei einem JPG.
Bei einem JPG muss zudem klar sein, dass man sich der Bearbeitung durch die Kamera anvertraut hat. Auch das kann und muss man in der Regel steuern, da in den heutigen Kameras sehr weitreichende Bearbeitungen vorgenommen werden. Aber während man in einem Bearbeitungsprogramm nachvollziehen kann, was man gemacht hat, weiß man über die meisten Kamerabearbeitungen nichts oder nur wenig, da die Hersteller die Informationen dazu nicht veröffentlichen (Nikon ist das ganz besonders extrem…). Bei der Optimierung passt man in der Regel folgendes für das gesamte Bild an.
Kontrast
Weißabgleich
Schatten
Licht
Schärfe
Bildrauschen
Farbbalance
Beschnitt
Wie stark die Anpassungen sind, richtet sich nach der fotografierten Qualität und nach der Lichtsituation bei der Aufnahme. Denn manchmal kann man auch mit bestem Wissen kein optimales Bild fotografieren, bei der Grundbearbeitung aber z.B. eine bescheidene Lichtsituation verbessern. Danach kann man das Bild veröffentlichen…es ist dann ein gutes Bild…aber hier spaltet sich jetzt die Welt der Fotografie auf, denn ab jetzt fängt das an, was nicht mehr nur mit "korrektem" fotografieren zu tun hat. Schritt 2: Ausarbeitung
Wohin will ich die Blicke des Betrachters lenken?
Welche Aussage des Bildes möchte ich verstärken?
Gibt es Dinge im Bild, die mich stören?
Möchte ich einen bestimmten Look, eine bestimmte Stimmung erzeugen oder unterstützen?
Uiiiih das klingt aber jetzt nach Veränderungen, Verfälschung, Photoshoperei und ähnlichem, wovor uns die Alten schon immer gewarnt haben! Dabei gilt auch hier: die Dosis macht das Gift! Einen Grashalm im Foto wegzustempeln statt ihn in der Natur auszurupfen ist z.B. etwas, was unter Ausarbeitung eines Fotos fallen würde. Und deswegen ein gutes Bild wegzulöschen, wäre doch schade. Die Ausarbeitung kann folgende Arbeiten umfassen.
Gezielte Ausarbeitung bestimmter Bildbereiche über Filter (z.B. die Helligkeit nur in einem Bestimmten Bereich erhöhen, Weichzeichnen bestimmter Bereiche etc.)
Filterbearbeitung für das gesamte Bild
Entfernen störender Bildbestandteile (vom Sensorstaub bis zum Bildhintergrund…hier kann man aber schnell übertreiben!)
Einsetzen von Effekten (Vignette, Körnung…)
Umwandlung in s/w
Tönungen oder Farbumwandlungen
Starke Veränderungen bei den Punkten aus Schritt 1 (hier geht es nicht mehr ums Optimieren, sondern um größere Eingriffe, wie z.B eine extreme Behandlung von Licht und Schattenwerten)
HDR Umwandlung
Bildmontage
Hinzufügen von Rahmen und Wasserzeichen
Nach solchen Schritten wird im Idealfall aus einem guten Bild ein Hingucker und aus einem Hingucker etwas atemberaubendes…denn Bearbeitung ist kein Hexenwerk, sondern der zweite Teil der Fotografie! ...und ja, wenn man eine zu hohe Dosis Bearbeitung wählt, kann daraus auch etwas gruseliges werden…aber nur weil es Gefahren gibt, muss man ja nicht das Kind mit der Badewanne wegschütten! Und da das jetzt viel Text war, werde ich demnächst noch ein Bildbeispiel dazu nachschieben…mit Ausgangsbild, Bearbeitung Schritt 1 und 2 inklusive einer genauen Beschreibung was ich an dem Beispiel gemacht habe und warum.
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